Die Schweizerischen Bundesbahnen werden künftig Millionen investieren müssen, damit die Wälder die Bahnlinien vor Rutschungen, Lawinen und Steinschlag schützen.

Zwischen Immensee und Arth-Goldau, entlang der Nordflanke der Rigi fahren täglich 180 Züge entlang. Der Abschnitt gehört zum Bahnzubringer von Basel zum Gotthard. Unterhalb der Geleise ist der Zugersee und dazwischen die Autobahn. Wer die Strecke fährt, staunt über den steilen Hang. Furcht vor Steinschlag oder Lawinen kommt jedoch keine auf. Oberhalb der Bahnstrecke befindet sich mit fast 500 Hektaren der grösste Schutzwald, den die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) selber besitzen. Seit 1980 haben die SBB, der Bund und der Kanton Schwyz insgesamt knapp 35 Millionen Franken investiert. Darin sind enthalten: die Kosten für die Erschliessung; die Pflege des Schutzwaldes; die Behebung von Sturmschäden und die Erstellung von Schutzbauten.

Dazu gehört auch ein modernes Sicherheitssystem gegen Steinschlag. Albert Müller zeigt auf eine kleine gelbe Box, die an einem Schutznetz befestigt ist. «Fällt ein Stein in das Netz, wird das automatisch gemeldet», sagt der Leiter Natur und Naturrisiken bei den SBB. Die Züge würden aber nur gestoppt, wenn die Alarmanlage eine schwere Erschütterung registriere. Sonst erhielten die Lokführer auf dem entsprechenden Streckenabschnitt die Anweisung, das Tempo zu drosseln und auf Sicht zu fahren, um den Zug notfalls stoppen zu können. Schweizweit sind derzeit zehn solche Anlagen in Betrieb. In den nächsten Jahren werden laut Müller weitere folgen.

Ungewisse Entwicklung

Bund, Kanton und SBB sowie weitere Waldeigentümer investieren jährlich 300000 Franken in die Waldpflege und den Erhalt der forstlichen Infrastrukturanlagen am Rigi-Hang. Die Bemühungen zahlen sich aus. «Der Schutzwald befindet sich in einem guten Zustand und erfüllt seine Funktion», sagt Josef Gabriel vom Amt für Wald und Naturge­fahren des Kantons Schwyz. Im unteren Teil wächst ein gut strukturierter Mischwald mit einem hohen Anteil an Laubhölzern. Dieser wird ab etwa 1000 Meter über Meer durch einen Tannen-Buchenwald abgelöst.

Trotzdem bereitet den Förstern die künftige Entwicklung des Waldes Sorgen: Derzeit ist unklar, wie gut sich der Wald an den Klimawandel anpassen kann. Ein eingeschleppter Pilz bringt die Eschen grösstenteils zum Absterben. Und insbesondere in höheren Lagen haben junge Weisstannen, Bergahorne und Eschen kaum eine Chance aufzuwachsen. Rehe, Gämsen und zunehmend auch Rothirsche beissen die Knospen der jungen Bäumchen ab. Studien der ETH Zürich zeigten, dass der Anteil der für die Schutzfunktion wichtigen Weisstanne bis 2080 stark abnehmen wird, wenn der Wildverbiss weiterhin so hoch bleibt.

Bereits heute sind junge Bäumchen dieser Baumart stark untervertreten – es droht eine «Verjüngungslücke». Aufgrund dieser Situation dürften in den nächsten 50 Jahren Kosten von 3 bis 6,6 Millionen Franken für zusätzliche forstliche Massnahmen sowie Verbauungen anfallen. Um diese Ausgaben möglichst tief zu halten, erarbeiten die Kantone Schwyz und Luzern für die gesamte Rigi ein umfassendes Wald-Wild-Konzept. Waldplanung heisst, Jahrzehnte vorauszudenken.

Waldbesitzerin SBB

Wälder schützen auf einer Länge von 340 Kilometern das Bahnnetz der SBB vor Lawinen, Steinschlag und Rutschungen. Wichtige Schutzwälder befinden sich nicht nur entlang der Gotthardstrecke, sondern auch im Kanton Freiburg, im Waadtland, Jura, Entlebuch und Emmental. Von den rund 8700 Hektaren Schutzwald, welche die Bahnin­frastruktur unmittelbar schützen, sind 1600 Hektaren im Besitz der nationalen Bahngesellschaft.

Die Wälder an der Rigi wurden früher mit grossem Aufwand stark genutzt. Waldarbeiter liessen das Holz mithilfe der Schwerkraft in den Talboden bei Arth oder zum Zugersee hinabrutschen. Eigens dafür erstellte Durchlässe beim Bahntrassee sollten den Holztransport erleichtern. Mit der Übernahme der Waldungen durch die SBB vor etwa 100 Jahren ergaben sich dann manche Vereinfachungen. Es wurde grossflächig aufgeforstet. «Der Wald war früher viel offener», sagt Sigi Weber, der Revierförster in Arth-Goldau. Er schätzt, dass im 20. Jahrhundert die Waldfläche um etwa ein Drittel zugenommen hat. Der Transport des Holzes erfolgte ab 1930 über fest installierte Seilbahnen. Überreste der bis 1980 betriebenen Anlagen zeugen noch davon. Heute erfolgen die Pflege des Waldes und der Abtransport der Stämme vorwiegend über mobile Seilkrananlagen. Um deren Einsatz zu ermöglichen, sind seit 1980 neun Kilometer Forstrassen gebaut worden.

Verjüngung fördern

Weil der Schutzwald oberhalb der Bahnstrecke höchste Priorität geniesst, stehen für seine Pflege deshalb auch weiterhin finanzielle Mittel zur Verfügung. Laut Josef Gabriel ist es das Ziel, einerseits den guten Zustand zu erhalten und andererseits genügend Verjüngung im Schutzwald zu haben. Parallel dazu arbeitet man mit den SBB an einem umfassenden Naturgefahrenprojekt. Dieses wurde bei den Bundesbehörden bereits eingereicht, beläuft sich auf 2,8 Millionen Franken und umfasst sämtliche Steinschlagquellen sowie 29 Bäche und Runsen an der Nordlehne der Rigi. Die Wirkung des Schutzwaldes wird bei der Gefahrenbeurteilung jeweils berücksichtigt. «Die Anforderungen für die Personensicherheit sind bereits jetzt erfüllt», sagt Albert Müller. «Wir investieren hier, um die Verfügbarkeit dieser wichtigen Zufahrtsstrecke zum Gotthard zu erhöhen.» Damit es zu möglichst wenig Streckenunterbrüchen komme.

Wenn ab dem Jahr 2018 die Bahn­strecke zwischen Zug und Arth-Goldau auf der anderen Seite des Zugersees ausgebaut wird, werden vorübergehend auch die Züge von und nach Zürich über diesen Ast der Gotthardstrecke umge­leitet – dann sind es weit mehr als die 180 Züge pro Tag von heute.

Quelle: Tagesanzeiger